[Alexander Auer] Wer sich für die Etymologie des Wortes „Backgammon“ interessiert, der findet meist folgende Erklärung:

Das Spiel wurde im englischen Sprachraum so benannt, es sei eine Zusammensetzung der Worte „back“ für „hinten“ oder auch „zurück“ und „gammon“, für Spiel, stammend von der mittelalterlichen Form „gamen“.

Dieser Name soll von der Tatsache herrühren, dass geschlagene Steine am Ende des Spiels wieder eingesetzt werden müssen, oder aber von der Tatsache, dass es Varianten gab, die ohne feste Aufstellung der Steine begannen. Die Spielsteine mussten durch Würfeln erst in das Spiel eingebracht werden, und zwar am Ende.

Diese Erklärungen fand ich stets sehr trivial, sie sind kein Alleinstellungsmerkmal, und mir scheint das Spiel Backgammon einfach zu perfekt, als dass solche Nebensächlichkeiten zur Namensgebung hätten führen können.

Deshalb machte ich mich auf die Suche, und durchforstete unzählige Quellen. Ich fand dabei unglaublich spannende Zusammenhänge, die so nie zuvor diskutiert wurden.

Wir alle kennen die vermutete Entwicklung des modernen Backgammon von dem altägyptischen Spiel „Senet“ über das römische „Ludus Duodecim Scriptorum“, dem Zwölf-Linien-Spiel hin zum römischen Tabula, dass dann im Bereich des heutigen Großbritannien als „tables“ angekommen ist. Die Verwandtschaft des „Senet“ zum Backgammon wird aber auch stark angezweifelt, und das zu Recht.

Mich hat zunächst interessiert, wie die Menschen vor etwa 5000 Jahren überhaupt gerechnet und gezählt haben, und dieser Einstieg bewies sich als richtig und wurde zum Schlüssel meines Verständnisses des Backgammon.

Das Dezimalsystem, wie wir es heute kennen, war unbekannt, ebenso das sogenannte abstrakte Rechnen, auch Hindu-Arabische Arithmetik genannt. Die Menschen benutzten damals das Sexagesimalsystem, ein Rechensystem zur Basis 60.

Dies ist von den Sumerern, einem Volk im Gebiet des heutigen Irak entwickelt worden. Die Sumerer entwickelten dieses Zahlensystem aufgrund von Sternenbeobachtungen. Sie hatten 7 Hauptgötter, Sonne und Mond sowie die Planeten Jupiter, Saturn. Venus, Merkur und Mars. Das ist nebenbei der Grund, warum wir 7 Tage pro Woche kennen. Diese Planeten waren mit bloßem Auge zu sehen und hoben sich durch Größe und Leuchtkraft deutlich von den Fixsternen ab. Bei der Entwicklung ihres Kalenders brachten die Sumerer ihre beiden langsamsten Götter Saturn und Jupiter, die 30 respektive 12 Jahre brauchen, um den Zodiakus zu durchwandern, in Einklang. Das kleinste gemeinsame Vielfache ist 60! Das Produkt aus beiden Zahlen ist 360, und das ist der Grund, warum ein Kreis in 360 Grad geteilt wird, bis heute. Den Zodiakus in 360 Grad zu teilen, bedeutet, dass Jupiter 30 Grad pro Jahr wandert und Saturn 12 Grad. Die Sonne braucht ein Jahr für einen Durchlauf des Zodiakus, Jupiter macht in der Zeit 1/12. Das ist der Grund, warum die Sumerer das Jahr in 12 Monate teilten. Die Sonne durchläuft dann in einem Monat die gleiche Distanz wie Jupiter in einem Jahr. Und da die Sonne so 30 Grad des Zodiakus in einem Monat wandert, haben die Sumerer den Monat in 30 Tage geteilt. Die Sonne wandert so ein Grad pro Tag. Freilich wussten die Sumerer, dass das Jahr 365 Tage hat, und deshalb entwickelten sie Festtage am Ende des Jahres, die von den Ägyptern übrigens übernommen wurden, und auch bis heute, als religiöse Feiertage verpackt, zelebriert werden. Daher rührt bis heute der Ausdruck „zwischen den Jahren“.

Die Sumerer waren fasziniert von dem Gedanken, dass ihre 7 (Sonne, Mond=2, und 5 Planeten) Götter sich in der Tatsache widerspiegeln, dass der Mensch 2 Hände mit je 5 Fingern hat. Und sie waren fasziniert davon, dass ihre wunderbare Zahl 60 so viele Teiler hat, aber eben nicht die 7, die dazu noch unteilbar ist.

Nun zurück zum Spiel…

Dieses Sexagesimalsystem war in Mesopotamien in Gebrauch, im Alltag reichte meist die „kleine Schwester“, das Duodezimalsystem zur Basis 12. Damit wurde mit den Fingern gerechnet in der Art, dass die Daumen als Zeiger dienten und die restlichen vier Finger mit je 3 Gliedern als Zähler bis 12.

Dieses Rechensystem wurde mindestens ab 2500 vor Christus auf sogenannten Rechenbrettern benutzt, ja sogar auf Tischen, die für diesen Zweck hergestellt wurden. Eines dieser Bretter, die „Salamisische Tafel“ wurde 1846 in der Nähe von Athen gefunden, und ist wohl noch um 500 v.Chr. in Gebrauch gewesen. Auf diesen Rechenbrettern waren vertikale Linien aufgebracht, auf die kleine Steinchen als Zähler gelegt wurden. Die Linien selbst waren oft mit Einheiten versehen. Bei den Römern zum Beispiel für Einser, Fünfer, Zehner, Fünfziger, Hunderter und Tausende ( 6 Linien), das ganze gespiegelt nochmal, um leicht Additionen und Subtraktionen ausführen zu können. Die Steinchen hießen im alten Rom übrigens „Calculus“, daher rührt unser Wort „Kalkulation“. Auch wurden schon im alten Ägypten Münzen statt Kiesel verwendet.

Diese Steinchen oder Münzen wurden auf den vertikalen Linien bewegt, um Rechenoperationen auszuführen, selbst komplizierte Winkelfunktionen und Wurzelrechnen waren möglich. Im Kern funktionierten diese Rechenbretter nach dem Prinzip des Abakus.

Sehr fasziniert hat mich, dass der griechische Schreiber Herodot in seinem Reisetagebuch etwa 450 v. Chr. sein Verwundern beschreibt, dass die Griechen ihre Steinchen von links nach rechts bewegen, die Ägypter aber von rechts nach links!

Von hier an ist es leicht sich vorzustellen, wie Griechen und Ägypter zusammentrafen und ihre Bretter aneinander stellten. Es musste nur noch jemand Würfel „ins Spiel bringen“, und schon hatte man ein Backgammon-Brett! Dass ursprünglich mit 12 Steinen gespielt wurde, wie wohl später auch das Zwölf-Linien-Spiel, scheint geradezu zwangsläufig, wegen des Sexagesimalsystems, respektive des Duodezimalsystems.

„Rechnen auf Linien“, wie diese Form des Rechnens genannt wird, würde auch erklären, warum die Römer ihr Spiel das „12-Linien-Spiel“ nannten, und nicht das „12-Felder-Spiel“.

Aus all diesen Beobachtungen heraus bin ich tief überzeugt, dass Backgammon oder seine Vorläufer, nicht als Spiel erfunden wurden, sondern sich aus einem Gebrauchsgegenstand entwickelt haben. Die Bretter, die eigentlich der Mathematik wegen entwickelt worden waren, sind sozusagen missbraucht worden, um Spaß zu haben. Und das nicht von ungebildeten Leuten, sondern von Menschen, die einen hohen Wissenstand hatten in Sachen Mathematik.So denke ich, dass Backgammon schon sehr früh auf mathematisch sehr hohem Niveau gespielt wurde, und erst später zum Glücksspiel verkam, als es zum Allgemeingut wurde.

Bevor ich zur Etymologie des Wortes Backgammon komme, möchte ich nochmal umreißen, wie strikt das Spiel dem Sexagesimalsystem folgt, und deshalb die Abstammung von Rechenbrettern hochwahrscheinlich ist:

Das Sexagesimalsystem baut auf die Zahl 60. Diese Zahl ist das kleinste gemeinsame Vielfache von 12 und 30. Wir haben auf dem Backgammon-Brett 30 Steine und 2×12 Felder. Die Teiler von 60 sind die 1,2,3,4,5,6,10,12,15,20, 30und 60. Diese enorme Anzahl von Teilern machte das System mathematisch so attraktiv, im kleinen Alltag als Zwölfer-System. Die Steine werden beim Backgammon auf den Anfang, die Mitte und das Ende der 12 gesetzt (auf die 1, die 6 und die 12).

Da alte Formen des Spiels wohl mit nur 12 Steinen gespielt wurde, denke ich, dass die drei Steine auf der 8 später hinzukamen. Womöglich wurde schon im „Tabula“, dass dann mit drei Würfeln gespielt wurde, versucht, das Spiel komplexer zu machen, die drei Würfel widersprechen aber der strikten Logik und sind wohl deshalb wieder verschwunden, so dass es mit 2 Würfeln gespielt wurde. Zwei Würfel haben 12 Zahlen, was das Spiel wieder stimmig macht. Das Hinzufügen von weiteren Steinen schien die Lösung für mehr Komplexität. Und wenn man die „heiligen Plätze“ 1,6 und 12 unangetastet lassen will, aber 24 Augen (2×12) hinzufügen möchte, kann man diese drei Steine nur auf der 8 platzieren. Die nun 15 Steine passen ebenfalls wieder perfekt zur inneren Logik des Spiels, wie ich zeigen werde.

Gruppiert werden die Steine zu je 2,3 und 5 Stück. Das sind die Primzahlen unter den Teilern von 60. Gespielt wird mit 15 Steinen. Das ist die Summe der nicht-trivialen Teiler von 12! Außerdem ist es die Anzahl von Würfen, die unter den 36 möglichen Würfen doppelt vorkommen! Die 24 Felder x den 30 Steinen ergibt 360, die Anzahl der Grade eines Kreises.

 

Am spannendsten fand ich die Frage, warum wir ausgerechnet eine Augenzahl von insgesamt 167 zu gehen haben am Beginn des Spiels, das konnte mir nie jemand beantworten. Aber mit dem Blick auf das Sexagesimalsystem war es plötzlich logisch: Ich nahm an, dass die 1 früher nicht als Teiler galt, da sie eine Zahl nicht wirklich teilt. Dies vorausgesetzt ist die Summe aller Teiler von 60 eben 167! Und wie die 7 (Götter der Sumerer) ist diese Zahl die Summe aller Teiler aber selbst eine Primzahl.

Nun zur Etymologie des Wortes „Backgammon“, denn dort begann mein Aufsatz:

Das Wort Abakus stammt ursprünglich aus dem Griechischen, und hieß dort „Abax“. Bei den Römern entwickelte es sich zu „Abacus“ und meinte nicht den chinesischen Abakus, den viele assoziieren, sondern eben die beschriebenen Rechenbretter, sowie auch kleine Wachstafeln, mit denselben vertikalen Linien. Im mittelalterlichen Englisch war Abacus die Bezeichnung für jede Art von Rechenbrett, denn diese Rechenbretter waren bis weit in das späte Mittelalter in Gebrauch und wurden erst dann vom abstrakten schriftlichen Rechnen abgelöst.

Das Wort für „Game“ war „Gamen“, aus dem prä-Germanischen Wort „Gaman“, das so viel wie Spaß bedeutet. „Gamen“ entwickelte sich zu „Game“ aber auch eben zu „Gammon“.

Dass Backgammon seinen Namen im englischen Sprachraum bekam ist logisch, aber was nie Teil der Diskussion war: Im Mittelalter herrschten die Franzosen über England. William der Eroberer, eine Franzose aus der Normandie, war im 11. Jahrhundert König über England, und seine Söhne und andere Verwandte führten diese französische Herrschaft auf der Insel Jahrhunderte fort. Das ist deshalb sehr aufregend, da im Französischen der Abakus „abaque“ heißt (gesprochen wie A Bak). Die Endung -us des lateinischen Wortes Abakus ist bereits verloren gegangen. Es ist bekannt, dass sehr viele Worte assimiliert wurden durch das Weglassen eben dieser Endung.

Wir wissen heute auch, dass nahezu 25% aller englischen Worte französischen Ursprungs sind, der französische Einfluss also enorm war.

Nun ist die optische Verwandtschaft des Backgammon-Brettes mit den Rechenbrettern des Mittelalters so offensichtlich, so augenscheinlich, dass sich der Bezug geradezu aufdrängt! Ich komme deshalb zu der Schlussfolgerung, dass das Spiel Backgammon seinen Namen bekommen hat, während die Franzosen über England herrschten. Jemandem muss die Ähnlichkeit aufgefallen sein, und er oder sie nannte fortan das Spiel „abaque-gammon“ (gesprochen A Bak-Gammon), ein Abakus-Spiel.

Selbst unter rein englischem Sprachgebrauch wäre die Assimilierung von „Abacus-Gammon“ hin zu „a back-Gammon“ logisch und erklärbar, da wie gesagt, die lateinische Endung -us im täglichen Gebrauch oft verschwand.

Besonders spannend finde ich den Gedanken, dass ein Brett, das ursprünglich für mathematische Zwecke entwickelt wurde, lange Zeit zu einem Glücksspiel verkommen war, bis es, dank großartiger Denker wie Paul Magriel, wieder zu dem wurde, was es immer war:

Ein Rechenbrett!

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Replik Rechenbrett des Adam Ries, Deutschland etwa 1540

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Replik Rechenbrett Europa, etwa selbe Zeit Veranschaulichen das sogenannte Rechnen auf Linien.

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Replik Tabula, altes Rom

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alte Steinmetz Arbeit, keiner kann sagen ob gerechnet oder gespielt wird.